Verzweiflung und Green Energy

WhatsApp-Dialog: Frank & Hannah
06. März
Hey Papa. Wie geht’s dir heute?
Wie gestern. Ruhig.
Warst du draußen?
Nur zum Bäcker. Die Luft stinkt nicht mehr. Ist fast unheimlich.
15. März
Ich hab gelesen, dass die Gemeinde Fördergelder für den Windpark bekommt. Hast du das mitbekommen?
Ja. Die Leute reden nur, dass das hässlich aussieht. Und dass es nix bringt.
Es bringt Jobs, Papa. Auch für Leute mit Erfahrung. Ich hab dir doch erzählt, wie’s in Hessen läuft.
10. April
Marvin ist tot.
Oh nein… Wie?
Alkohol und Tabletten. Allein in seiner Wohnung.
Papa. Das macht mir Sorgen. Du redest fast genauso wie er früher.
Ich weiß.
12. April
Du rufst in letzter Zeit oft an, Hannah. Ist alles in Ordnung bei dir?
Mit mir schon, Papa. Aber nach Marvins Tod… ich konnte nicht mehr wegschauen. Ich hab angefangen zu recherchieren.
Da gibt es ein Wort dafür: Deaths of Despair. Das sind Todesfälle durch Alkohol, Drogen und Suizid – genau wie bei Marvin. Es trifft besonders Männer in deinem Alter und Beruf.
Wie meinst du das?
Es wurde zuerst von zwei amerikanischen Wissenschaftlern erkannt – durch Statistiken. In Deutschland passiert das auch. Viele haben ihre Arbeit verloren, fühlen sich nutzlos und allein. Dann geht’s oft bergab.
Hier ist eine Quelle für dich: Brookings: Deaths of Despair
Statistik sagt mir nicht viel. Aber ich weiß, wie sich das anfühlt. Ich war nicht weit weg von Marvin.
Deshalb brauchen wir echte Lösungen, Papa. Besonders Umschulungen für gute Jobs im Bereich erneuerbare Energien. Green Energy braucht Leute wie dich. Keine Symbolpolitik, sondern neue Perspektiven.
Klingt besser als Rasenmähen für die Stadt. Aber ich weiß nicht, ob ich das noch lernen kann.
Ich helf dir. Und du hast mehr Wissen in dir, als du denkst. Du hast Maschinen am Laufen gehalten, Papa. Die jungen Leute da draußen brauchen genau das.
30. Mai
Ich komm Pfingsten zu dir nach Bochum. Lass uns hoch auf den Hügel fahren, wo der Windpark hinkommt.
Wozu?
Ich will dir was zeigen.
04. Juni
Diese Betonfundamente sehen irgendwie… solide aus.
😉 Wie früher deine Maschinenfundamente? Du hast sogar mit dem Bauleiter diskutiert. Und gewonnen.
Der hatte keine Ahnung von Drehmoment. Aber nett war er.
11. Juni
Hannah… ich wollt mich entschuldigen. Letzte Woche, als wir da oben waren, hab ich gesagt, der Klimawandel wird eh nicht so schlimm. Das war blöd. Ich weiß ja eigentlich, dass es ihn gibt. Ich seh’s ja. Ich denk oft dran, dass ihr und die Kinder das ausbaden müsst, was wir aus dem Boden geholt haben.
Papa, danke. Das bedeutet mir viel. Aber du bist nicht persönlich schuld. Die Schuld liegt bei denen, die mit der Kohle sorglos umgegangen sind. Du hast gearbeitet, damit wir es besser haben. Jetzt hilfst du, etwas wieder gut zu machen. Das zählt.
17. Juli
Denkst du noch manchmal an Marvin?
Jeden Tag.
Dann tu was, was er nicht konnte. Beweg dich vorwärts. Willst du, dass ich mal frage, ob du als Berater anfangen könntest?
Ich bin kein Berater. Ich bin ein alter Kumpel. Aber… du kannst fragen.
01. September
War heute auf der Baustelle. Hab einem jungen Kollegen gezeigt, wie man sicher am Mast arbeitet. Der hat gestaunt, dass ich keine Skizzen brauch.
Das ist, was ich meine. Deine Erfahrung ist Gold wert.
Hat sich gut angefühlt.
24. November
Ich hab in der Arbeit einen Vortrag über „Just Transition“ gehalten – also den gerechten Übergang für Leute wie dich. Hab von dir erzählt. Anonym natürlich 😉
Ich hoffe, du hast gesagt, dass ich stur bin.
Hab ich. Und dass du lernst, neu zu denken. Das hat Eindruck gemacht.
31. Dezember
Geh nicht zur Silvesterparty. Komm lieber heim. Ich will dir zeigen, wie die Turbinen bei Nacht leuchten.
Ich komm. Du zeigst mir die Zukunft, Papa. Und du bist ein Teil davon geworden.

Wer schreibt?

Klaus, 60, war sein Leben lang Bergmann. Nach der Schließung seines Kohlewerks, wird er zunächst im Rückbau beschäftigt, als auch das aus ist, verliert er nicht nur seine Arbeit, sondern auch seinen Halt. Seine Tochter Hannah, 28, lebt in einer anderen Stadt, hat Umwelttechnik studiert und arbeitet in der Windkraftbranche. Die beiden haben ein gutes, aber distanziertes Verhältnis